Scherbenleben

Leben in einer besonderen Wohnform für psychisch kranke Erwachsene

Was gibt es bei der Wahl einer passenden Einrichtung zu bedenken?


Wenn man vor der Entscheidung steht, in eine Einrichtung zu ziehen, gibt es mehrere Sachen zu bedenken. Für diesen Beitrag gehen wir davon aus, dass die prinzipielle Entscheidung “Ich brauch mehr Hilfe als Ambulant leistbar ist” schon gefallen ist.

Kurze Rekapitulation: Es gibt die Möglichkeit eines (intensiv) ambulant betreuten Wohnens, hierbei kommt ein Betreuer für wenige Stunden am Tag zu einem oder man trifft sich draußen und regelt die Probleme, die gerade anliegen. Also Termine, Ordnung, Einkauf oder Post oder was auch immer derzeit anliegt. Das ist toll für Menschen, die etwas Hilfe benötigen, aber ansonsten allein mit ihrem Leben zurechtkommen.
Es kann aber vorkommen, dass das nicht mehr ausreicht, Gründe hierfür wären unter anderem, dass gelegentlich oder ständig außerhalb der Anwesenheit Notfälle auftreten, die jemand anderes auffangen muss. Oder dass mehr Anleitung benötigt wird, eventuell auch für Grundsachen wie Zähneputzen oder Duschen. Oder dass mehr “Beobachtung” benötigt wird, zum Beispiel um bei Arztterminen eine externe Meinung zu haben, weil die eigene Einschätzung nicht reicht. Auch ein Grund kann große Einsamkeit sein. Also dass man einfach jemand benötigt, der da ist. Oder zum Beispiel, dass es mit den Mahlzeiten nicht klappt. Nur Trash essen oder im schlimmsten Fall gar kein Essen.
Zu bedenken bei der Entscheidung gibt es immer den Umstand, dass man dadurch Eigenständigkeit und Freiheit aufgibt. – Klar, man gibt jemand anderem einen Teil der Verantwortung, somit aber auch einen Teil der Kontrolle – Sonst würde es ja nicht funktionieren. Prinzipiell ist also eine Voraussetzung für eine offene Einrichtung eine gewisse Bereitschaft zur Kooperation. Bei geschlossenen Einrichtungen ist das anders, aber dort ist es auch nicht freiwillig, sonst müsste es ja nicht geschlossen sein.

Bei der Wahl einer Einrichtung gilt es zu schauen, wie man leben will und welche Probleme vorliegen. Es gibt im Wesentlichen 2 Modelle, die heute gefahren werden. Das eine ist ein Zentrales, hier sind sehr viele Leute (meist eingeteilt in kleinere Wohngruppen) in einem zentralen Gebäude, meist ist rund um die Uhr Betreuung da und es gibt ein “all-inclusive” Paket was Mahlzeiten angeht. Diese Form der Betreuung erfordert sehr wenig Selbstständigkeit, gibt aber auch sehr wenig Freiheit. Meist wird geschaut, dass die Leute möglichst den ganzen Tag beschäftigt sind. Beschäftigte Leute verursachen weniger Ärger. Dies kann von Arbeitstherapie über Gruppen gehen. Meist ist die Arbeitstherapie hierbei auf einem sehr niedrigen Niveau. Ein Beispiel bei einer Einrichtung, bei der ich Probewohnen war, war 6 Stunden am Tag Kartons falten. Oder Schrauben zählen. Gleichzeitig hatte die Einrichtung nicht mal Internet. Mir war die Sache dann doch zu eng betreut und zu wenig verbleibende Freiheit, sodass ich mich dagegen entschied. Aber je nach Grad der Selbstständigkeit kann so eine Einrichtung goldrichtig sein. Was man hierbei auch bedenken muss, meist sind diese Einrichtungen nicht als Endstation gedacht, auch wenn sie das sein können, prinzipiell gibts meist keine Begrenzung wie lang man bleiben darf, sondern führen in eine weniger betreute Wohnform, wenn möglich. Hierfür gibt es meist Verselbständigungsgruppen und Außenwohngruppen in denen man mehr Verantwortung und Freiheit hat.

Die zweite große Form sind dezentrale Einrichtungen. Dezentrale Einrichtungen sind meist als WGs über, dass ganze Stadtgebiet verteilt. Bei meiner Einrichtung sind es zum Beispiel 6 WGs mit je 6-8 Bewohnern. Betreuung ist hier meist nicht den ganzen Tag da, sondern stunden weiße. Bei uns zum Beispiel von 8:00-19:30, aber nicht durchgängig. Während niemand da ist, gibt es eine Rufbereitschaft (also nachts und am Wochenende) und wenn niemand da ist und etwas vorfällt(z.B. plötzliche Suizidalität oder Selbstverletzungsdrang) können die Betreuer der anderen WGs angerufen werden und kommen dann auch rüber zu uns in die WG oder geben übers Telefon Hilfestellung. Essen ist hier meist den Bewohnern überlassen, bei uns gibt es, wie im Beitrag Essen näher erläutert, eine Grundversorgung mit Mittagessen an Arbeitstagen und ansonsten Essensgeld.
Auch die Tagesstruktur kann deutlich flexibler gestaltet werden, bei uns gibt es unter anderem Menschen, die eine WfbM besuchen und andere, die die Tagesstrukturierende Maßnahme vom gleichen Träger besuchen, dies nimmt je nach Beschäftigung deutlich weniger Zeit in Anspruch als bei einer Zentralen Einrichtung.
Insgesamt ist weniger Betreuung und daher weniger Verantwortungsabnahme da, dafür mehr Freiheit.

Bevor man in eine Einrichtung zieht, sollte man sich also klar sein, was man will und braucht. Für mich war insbesondere klar, dass ich ein Mittagessen und begleitete Einkäufe für den Rest brauche, aber ein gewisses Maß an Freiheit behalten will. Gleichzeitig war für mich auch klar, dass 6 Stunden Arbeitstherapie am Tag für mich nicht infrage kommen, schlicht, weil ich das nicht leisten kann. Stattdessen habe ich nun wie im Blog beschrieben ein gutes Tagesprogramm.

Eventuell muss man sich mehr als eine Einrichtung anschauen (und wenn möglich Probewohnen) ehe man umzieht. Dabei ist auf das tägliche Programm, die Mahlzeiten und die Betreuung zu achten, wenn möglich, redet mit jemand, der bereits dort wohnt.

Noch eine kurze Schlussbemerkung: Die Chance die “perfekte” Einrichtung zu finden gibt es nicht, man muss quasi immer mehr Freiheiten aufgeben als man möchte und/oder in manchen Bereichen weniger Betreuung/Hilfe haben als man möchte. Die Frage ist, wie viel Unbill kann ich in Kauf nehmen für ein besseres Leben.

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